Ich nehme nur die besten Bilder!
Wenn ich nur wüsste, welche es sind.
Geht’s anderen Fotografen eigentlich auch so? Ich komme aus dem Urlaub und lade meine Fotos auf den PC. Ich schaue sie ein bisschen durch, und dann liegen sie erst mal auf der Festplatte rum, denn ich bin im Rückstand.
So nach ungefähr eineinhalb Jahren fange ich dann an mit der Bearbeitung. Es ist gut, dass Zeit vergangen ist, so kann ich meine Bilder schon etwas neutraler betrachten. Als ich dies schreibe, bearbeite ich gerade meine Neuseelandfotos. Neuseeland, schönstes aller Länder! Auch nach eineinhalb Jahren kommen Freude und Erinnerungen wieder auf.
Aber ich nehme nur die besten Fotos! Denn ich bin im Rückstand, und es macht keinen Sinn, Bilder zur Agentur hochzuladen, die nicht wirklich gut sind.
Ja, das sage ich mir immer. Nur klappt es nicht so.
So gehe ich üblicherweise vor: Im ersten, vielleicht auch noch zweiten Durchgang treffe ich eine mehr oder weniger grobe Auswahl. Dann kommt mein Preset drauf, ich schiebe schon ein paar Regler hin und her und gelegentlich erstelle ich eine Maske, wenn mein Vorstellungsvermögen nicht ausreicht. Die Auswahl wird schon deutlich enger. Schließlich bearbeite ich die Bilder gründlicher, entferne Sensorflecken und sortiere immer noch Bilder aus. Es folgen ein oder zwei oder mehr Kontrolldurchgänge, bis ich die Fotos dann endgültig fertig habe. Also eigentlich höre ich auf, denn bei jedem erneuten Durchsehen finde ich wieder etwas, das ich ändern könnte.
Das Problem ist, dass da in meinem Inneren zwei Stimmen sind. Die erste sagt: „Wir nehmen nur das Beste! Wir halten uns nicht mit Mittelmaß auf! Wir nehmen auch nicht lauter ähnliche Sachen! Das macht alles unnötige Arbeit, und wir sind ohnehin im Rückstand! Wir entscheiden uns bei mehreren ähnlichen Fotos für eines, und zwar radikal!“
So fange ich an. Wild entschlossen. Diesmal wird es besser, ich werde jetzt schneller mit der Bearbeitung fertig sein als sonst, weil ich nur wenige, wirklich gute Fotos nehme!
Im ersten Durchgang läuft es noch ganz gut. Ich muss ja noch keine Entscheidung treffen, das geht auch später. Aber spätestens da fängt es an. Jetzt kommt Stimme zwei: „Ach, das Bild ist doch auch schön, und das auch! Und auch dieses! Und ja, sie sind wohl ähnlich, aber doch auch unterschiedlich! Es ist auch nicht viel dran zum Bearbeiten, ein Bild mehr oder weniger, was macht das schon?“ Manchmal kommen sogar Argumente wie: „Dieses Bild ist zwar nicht wirklich großartig, aber ich bin um 5 Uhr früh aufgestanden. Das wird hochgeladen.“
Ich schaue mir die Fotos an, ich klicke hin und her, ich gehe ins Bibliotheksmodul und lege mir mehrere nebeneinander auf den Bildschirm, um das beste, das schönste auszuwählen – und ich KANN MICH NICHT ENTSCHEIDEN!
Ich lasse die Bilder erst mal drin. Bei der nächsten Auswahlrunde schaue ich sie mir nochmal an, dann werde ich entscheiden. Denn ich will ja keine mittelmäßigen Fotos nehmen und nicht unnötig Zeit verdeudeln. Wo ist überhaupt das Problem, wenn zwei Fotos ähnlich sind und ich mich nicht entscheiden kann, dann ist es doch EGAL, welches ich nehme!
Und so geht es weiter, und am Ende sind es wieder so viele Fotos wie sonst auch, und ich habe so lange gebraucht wie sonst auch.
Ich lade die Fotos bei meiner Agentur hoch. Dort muss ich zu jedem Bild noch etwas dazuschreiben. Und dann, erst dann, denke ich bei einigen der Bilder:
„Das hätte es jetzt aber nicht gebraucht. Es ist eigentlich gar nicht so gut.“ Oder: „Na, es ist aber schon sehr ähnlich zu dem anderen, da hätte eines wirklich gereicht. Die Arbeit hätte ich mir sparen können.“
Aber jetzt ist es auch egal.