Als ich aus Versehen Polarlichter fotografierte
Ich bin ja immer noch im Rückstand mit meinen Fotos. Am „immer noch“ erkennen Sie, dass ich davon ausgehe, dass sich das irgendwann ändert. Jedenfalls bearbeite ich gerade meine Neuseelandfotos. So rund 10000 Bilder habe ich dort gemacht, das dauert, auch wenn „nur“ ein paar Hundert übrigbleiben werden, die zu bearbeiten sind. Mein Rückstand beträgt nun also tatsächlich zwei Jahre. Man kann es nicht mehr schönrechnen. Deswegen habe ich angefangen, die Fotos von 2024 zu bearbeiten, die ich im Umfeld meines Wohnortes gemacht habe. Aus psychologischen Gründen sozusagen. Jetzt bearbeite ich praktisch schon Bilder „vom letzten Jahr“, zumindest noch ein paar Wochen, bevor wir dann 2026 haben. Das klingt viel ermutigender als „von vor zwei Jahren“. Unter den Fotos befinden sich auch welche von Polarlichtern. Diese Geschichte möchte ich Ihnen hier erzählen.
Es war der 10.05.2024. Schon vor zwei Wochen hatte ich mir diesen Tag im Kalender markiert, denn ich wollte endlich mal versuchen, die Milchstraße zu fotografieren, und meine App hatte verkündet, dass dieser Tag gut geeignet wäre. Das größte Problem mit der Milchstraße ist ja, dass man sie nur nachts sieht, wenn ich lieber schlafe. Aber nun war ich entschlossen. Es war fast noch Neumond, der Himmel war klar, keine Wolken, und die Milchstraße sollte meiner App zufolge so ab etwa halb eins zu sehen sein (ich habe die Milchstraße auch schon gesehen, obwohl die App behauptete, dass man sie nicht sehen könne, aber das ist ein anderes Thema).
Ich muss noch erwähnen, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Polarlicht-App hatte. Ich wohne in Süddeutschland, da braucht man sowas nicht, weil es hier nämlich keine Polarlichter gibt.
Schon nach 23 Uhr machte ich mich langsam auf den Weg, denn wenn ich noch länger gewartet hätte, wäre ich ins Bett gegangen, soviel war klar. Ich konnte ja ein bisschen Sternenhimmel fotografieren, und vielleicht würde man die Milchstraße schon eher sehen.
Als Motiv hatte ich meinen Fotobaum auserkoren, was sonst. Meereslandschaft gibts hier nicht, markante Berggipfel genauso wenig. Der Odenwald ist schön, aber seine Hügel haben alle mehr oder weniger die gleiche Höhe, so dass der Horizont eine Linie bildet. Also war klar, dass ich „meinen“ Birnbaum als Motiv nehmen würde, der einsam auf einem Hügel auf dem Acker steht. Außerdem ist er nur ein paar Minuten von meiner Wohnung entfernt, und wenn ich schon mitten in der Nacht fotografierte, dann wollte ich wenigstens nicht weit fahren.
Ich parkte mein Auto, nahm meine Ausrüstung und erklomm den kleinen Hügel. Am nördlichen Himmel stellte ich ein paar Wolken fest, obwohl es doch ganz klar sein sollte. Ich baute mein Stativ auf, packte die Kamera drauf, stellte sie so ein, wie es mir sinnvoll erschien, und drückte auf den Auslöser. 15 Sekunden später erschien das erste Bild. Ich erschrak. Der Himmel war pink! Was war verkehrt? Das Bild war etwas zu hell, lag es daran? Ich änderte meine Einstellungen und machte das nächste Bild. Wieder ein pinker Himmel! Ich überprüfte den Weißabgleich und die anderen Einstellungen. Passte alles. Wo war das Problem? So machte ich noch zwei, drei Bilder, bis es mir langsam dämmerte. Konnten das Polarlichter sein? Ich sah erneut zum Himmel. Was ich im Norden für Wolken gehalten hatte, schien doch eher Aurora zu sein, denn die vermeintlichen Wolken bewegten sich ganz wolkenuntypisch.
Polarlichter, hier und heute? Ich konnte es kaum glauben. Ich hatte noch nie Nordlichter live gesehen, geschweige denn fotografiert! Eigentlich glaubte ich es immer noch nicht, aber ich machte sicherheitshalber weitere Bilder. Pink, lila, gelb, grün, rot, ich hatte alle Farben auf meinen Fotos! Mein Baum lässt sich am besten Richtung Westen fotografierten, denn im Norden ist eine Ortschaft, im Osten stehen noch ein paar Häuser, und Richtung Süden ist er auch nicht so fotogen. Mein Baum hat nämlich eine Schokoladenseite. Die Ortschaft im Norden fotografierte ich ebenfalls. Ob es dort Leute gab, die auch sahen, was heute am Himmel los war? Oder lagen sie alle in ihren Betten und verschliefen dieses fantastische Ereignis?
Milchstraße? Hatte ich vergessen. Ich glaube, sie sollte am Osthimmel sein. Immer wieder drückte ich auf den Auslöser und staunte über die Farbenvielfalt, die mit bloßem Auge fast nicht zu sehen war.
Nach über 60 Baumbildern wurde es doch etwas eintönig. Ich überlegte, wo ich noch hinfahren könnte. So eine Nacht musste man ausnutzen. Ich wollte versuchen, in Heidelberg beim Schloss von der Scheffelterrasse aus zu fotografieren, trotz Lichtverschmutzung. Unterwegs machte ich noch ein paar Fotos am Neckar, die auch gut aussahen. Als ich am Schloss den Weg durch den Schlossgarten zur Scheffelterrasse lief, kamen mir ein paar Leute entgegen, und einer sagte was von Polarlichtern. Das war tatsächlich der Moment, wo ich es endlich wirklich wirklich glaubte. Davor dachte ich immer noch, dass ich mich irgendwie geirrt haben könnte.
Über Heidelberg mit seinen vielen Lichtern war es natürlich nichts mit dem bunten Himmel, nur am rechten Rand zeigten sich ein paar pinke Lichter. Überhaupt schien es langsam weniger zu werden. Nur noch Richtung Norden war etwas von der Aurora zu sehen. Spät war es mittlerweile auch, oder früh, je nachdem, und nachdem mir nichts einfiel, was sich in der Nähe noch als Vordergrund eignen würde und Richtung Norden ging, beschloss ich, nach Hause zu fahren.
Am nächsten Tag informierte ich meine Kollegen vom Fotoclub, denn abends sollten noch einmal Nordlichter zu sehen sein. Ich fuhr selbst in den Odenwald, doch an diesem Abend waren in meiner Gegend keine Polarlichter mehr zu sehen.
So blieb die Nacht davor für eine ganze Weile einzigartig. Die Nacht, als ich endlich die Milchstraße fotografieren wollte.
P.S.: Die Fotos finden Sie wieder in der Galerie unter “Deutschland - In meiner Umgebung”.